Anti-Girlboss von Nadia Shehadeh – Die Lesung und das Buch

Heute einfach mal halbe statt volle Fahrt voraus. Das irritiert beim ersten Lesen, oder? Die Optimierung von Körper, Karriere und eigentlich auch von allem anderen ist die Maxime unserer Zeit. Diese Fokussierung auf Leistung und somit gleichermaßen auf das auszugleichende Defizit macht krank und unglücklich. Denn gut 98% von uns sind oder werden keine Girlbosse mit Sportprogramm ab 5.15 Uhr, 100.000€ Jahresgehalt und faltenfreier Stirn. Was also tun?

Warum also tagein, tagaus struggeln?

Diese Frage stellt sich Nadia Shehadeh in ihrem Buch “Anti-Girlboss – Den Kapitalismus vom Sofa aus bekämpfen” (Ullstein, 17,99€). Ich habe das Buch in kürzester Zeit gelesen und musste oftmals zustimmend nicken. Außerdem habe ich mich über die zahlreichen popkulturellen und politischen Referenzen gefreut: Von The Knife bzw. Fever Ray über Audrey Lorde bis Bushido in Reverse (“Von der Skyline zum Bordstein”). Frage für KennerInnen: Hat Bushido Nadia nicht vor Jahren auf Twitter geblockt? Erinnert sich noch jemand außer mir?

Work, Work, Work

Im Arbeitsgame bin ich seitdem ich 13 geworden bin. Ich besitze kein Eigenheim, keinen teuren Schmuck oder gar eine Yacht. Lange habe ich an das neoliberale Aufstiegsversprechen geglaubt, absolvierte zwei Studiengänge jeweils mit einer Eins vor dem Komma, engagierte mich gern und viel, um dann festzustellen, dass der Arbeitsmarkt auf mich nicht gewartet hat. Das es nicht nur mir so ging, zeigt ein Blick in meinen FreundInnen-Kreis und in Nadias Buch. Der Bielefelder Arbeitsmarkt im besonderen war vor über 12 Jahren eine Katastrophe, wie auch Nadia bei ihrer Buchvorstellung im Neuköllner Heimathafen zu Berlin bestätigte. Entspannt durch den Abend führte die Moderatorin Azadê Peşmen.

Endlich gibt es eine Frau, die es ausspricht

Dieser Post vom deutschlandfunkkultur hat die Gemüter bewegt, da uns stetig eingetrichtert wird, dass wir unser Bestes geben sollen. Einfach mal loslassen und nicht den patriarchalen Strukturen folgen? Das fordert Selbstreflexion und Überwindung, zumindest bei mir. Mir fällt es nicht leicht, einen Tag auf dem Sofa zu chillen, da gibt es immer noch Wäsche zu waschen, bei Kaninchen aufzuräumen oder endlich jemanden anzurufen, die/der schon länger darauf wartet… Aber: Wie Nadia, lese ich auch keine Ratgeber mehr, wie man dieses oder jenes verbessern oder diese Routine noch mit einbauen kann. Stattdessen gehe ich auf ein Lizzo Konzert und feiere die Realität mit all ihren so called Unvollkommenheiten.
Nach viel Arbeit und Verantwortung und keiner großen monetären Entlohnung, weiß ich: Die riesige Karriere möchte ich nicht mehr machen. Ich möchte Konzerte erleben, Menschen treffen, gut essen und dafür brauche ich Geld, daher arbeite ich. Mein gesamtes Glück oder (Selbst-)Bestätigung suche ich nicht im Job. Jede(r) ist mehr als der eigene Job. Aber: Ich mag viele Aspekte an meinem aktuellen Job.

Auf das erste gemeinsame Konzert oder eine Pommes im Wiesenbad

Nadia und ich sind uns in Bielefeld schon mindestens einmal bewusst über den Weg gelaufen, wir haben viele Überschneidung, wenn es um Pop Musik und Kultur geht. Wir lieben beide “Schitts Creek”, Madonna, Jennifer Coolidge und haben einen weak spot für die Hochstaplerin Anne Delvey. Nadia kam ganz geschmackssicher zu dem “The White Lotus”-Theme auf die Bühne.
Nach der Lesung haben wir uns kurz getroffen und es war sofort angenehm vertraut, da die kulturelle (und vermutlich ebenfalls die politische) Basis stimmt. Es würde mich freuen, wenn wir uns auf einem Konzert über den Weg laufen oder auf eine Pommes im Bielefelder Wiesenbad treffen.
Bis dahin bin ich gerade dabei, das Internet nach einem perfekten Dolly-Shania-Rina Cowgirl Outfit zu durchsuchen.
Damit will ich keinen (Drag-) Wettbewerb gewinnen oder ein Vorstellungsgespräch als Erdnussfarmerin bestehen, nein, ich mache es aus Spaß an der Freude.
Wichtig: Wir sind uns beide unserer Privilegien als nicht behinderte und/oder stark armutsgefährdete Menschen bewusst, die in der komfortablen Lage sind, auch mal Slacker-Einheiten einlegen zu können. Ohne dass kranke Verwandte leiden oder die nächste Miete nicht bezahlt werden kann.

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