Madonna beim ESC 2019 – Und die Spießer lästern

Viele Feiertage des Pop haben etwas mit Madonna zu tun: Entweder hat sie Geburtstag, hält eine Neujahrsansprache im Stonewall Inn, veröffentlicht neue Musik, kündigt eine Theater Tour an (OMG!) oder tritt beim ESC in Tel Aviv auf. Langweilig wird es mit der Göttin des Pop nie. Ganz im Gegensatz zum Eurovision Song Contest: Dort hat in diesem Jahr ein spießiger Bausparboy aus den Niederlanden mit einer Klavierballade gewonnen. Zum Glück hatten wir Vürstchen im Schlafrock, Bananenbrot und Berliner Luft Holunder, um die lahmen Nummern zu überbrücken. Denn die Raffinesse hat bei 95% der ESC-Auftritte leider gefehlt. Und es gab NUR EIN Trickkleid, wie der gestrige Gastgeber entsetzt feststellte.

Madame X – Vollkatastrophe voraus?

Mit jedem Album beginnt in der Pop-Zeitrechnung eine neue Ära. Das Kapitel “Madame X” hat bei Madonna gerade begonnen. Was soll ich sagen?
Bisher haben 2,5 von vier veröffentlichten Songs vom kommenden Album mich nicht überzeugt. “Future” ist sommerlich entspannt und klingt recht wenig nach Madonna. “I Rise” hat einen gewaltigen Schuss Pathos, den ich so gerade noch erträglich finde. Über “Crave” und “Medellín” möchte ich lieber nichts schreiben. Kurz: Ich hatte nie das Bedürfnis, Madonna dabei zuzusehen, wie sie am Zeh von irgend jemanden lutscht. Ich träume noch heute vom Video. Aber ich lasse mich gern positiv von den anderen neun Songs auf “Madame X” überraschen. Zudem mag ich ihre Augenklappe.

Madonna ist durch einen schwarzen Umhang so verhüllt, das man sie nicht erkennen kann. Sie erinnert an Darth Vader aus Star Wars.
Madonna oder Darth Vader?

“Oh, ist das Darth Vader?”

fragte sich Hans, als Madonna auf der Bühne in Israel erschien. Die Eröffnung orientierte sich an ihrem Auftritt bei der Met Gala 2018: Katholischer Bombast mit gregorianischen Chören und dunklen Umhängen. Die ersten Töne von “Like A Prayer” saßen nur so ungefähr, sie sang den Überhit ohne den schwulen Verve, der uns seit 30 Jahren tanzen lässt. Ja, einige Töne waren schief und die Tonlage insgesamt etwas tief.
Madonna war nie mit einer Mariah Carey-Stimme ausgestattet, hält aber seit 1983 die Stellung im misogynen und sexistischen Musikbusiness/der Welt.

Madonna und wir

Madonna ist, also sind wir

Natürlich überschlagen sich heute die Schlagzeilen voller Häme, von der “eigenhändigen Entthronung” ist da die Rede und dem “Endpunkt der Karriere”. Die Björns, Arnos und Holgers erklären uns in den großen Medien wieder einmal ihre Sicht der Dinge. Ihre Sicht auf eine Frau, die ungefähr alles erreicht hat, was mensch im kommerziellen Pop erreichen kann.
Wisst ihr was? Ihr Spießer*innen wählt euren Bausparboy zum Sieger und habt ihn euch somit verdient. Madonna begleitet, nicht nur nicht-heterosexuelle Menschen seit über 30 Jahren. Ihre Musik “brings the people together”, ihre Karriere ist strukturgebend und verbindendes Element. Ihr redet über Kinder und die Qual der Wahl bei der Einschulung, wir reden über “Ray Of Light” und Glitzergrillz.

Haters gonna hate.

Sie ist der Nordstern in einer Welt voller Hass gegen alles Andersartige

Eine Frau, Ü60, tritt beim größten Gesangswettbewerb der Welt auf und ist nicht perfekt. Skandal. Oder nur die neidbehaftete Schadenfreude des konservativen Mannes? Vermutlich würdet ihr nicht mal beim Karaoke einen geraden Ton rausbringen.
Madonna hat Eierstöcke aus Platin, wo ein Mick Jagger Nasenwände aus Stahl hat. Er wird dafür gefeiert, sie niedergeschrieben. Trotzdem wird sich die Theater Tour der Madame X super verkaufen. Ihre Karriere endet nicht nach einem Auftritt wie diesem beim diesjährigen ESC. Um es mit Madonnas Worten bzw. dem letzten Satz aus “Future” zu sagen:

“But you know that I’m a rise above it all, yeah”.

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